An diesem einen Tag
Hier noch ein Probekapitel aus dem Buch. Das Kapitel beschäftigt sich mit einem Ereignis, das die Welt bewegt hat und wie ich es damals in Dänemark am Limfjord erlebt habe.
An diesem einen Tag
Das Lachen und Quietschen vergnügter Kinder ist zu hören. Und wieder die Treppe hoch und über die große Rutsche runter sausen. Was Kindern Spaß macht, ist auch für Erwachsene ein Vergnügen. Das Spaßbad im Danpark – heute Landal Feriecenter – in Rønbjerg ist in unserem Urlaub ein regelmäßiges Ziel. Zum einen ist es vom Lendrup-Strand kaum 10 Minuten mit dem Auto entfernt und zum anderen sind die Eintrittspreise moderat und es wird viel geboten.
Da wäre das große Wellenbad, ein Wärmebecken, der Whirlpool, der fast immer besetzt ist, die große und eine kleine Rutsche, eine Sauna und natürlich auch das Außenbecken. Aber für heute reicht es uns, zwei Stunden sind genug. Noch ein letztes Mal albern wie die Kinder die Rutsche runter semmeln, dann umziehen und wir machen uns auf den Heimweg ins „Haus Pax“. Das ist unser Sommerhaus am Lendrup-Strand, in dem wir schon mehrere wunderschöne Urlaube verbracht haben.
Das Mädchen am Telefon
Wir kommen aus der Umkleide und ziehen uns im Vorraum zur Umkleide unsere Schuhe an. Die Dänen sind hier sehr diszipliniert, keiner geht mit Straßenschuhen in die Umkleideräume. Dann noch eine Runde im Foyer des Feriencenters bummeln, in dem es wieder wie so oft nach Pizza aus dem Restaurant ein halbes Stockwerk tiefer duftet. Aus dem Keller hört man leise das Bimmeln der dort aufgestellten Spielautomaten und das Rumpeln der Bowling-Bahn.
In einer Nische steht ein Mädchen an einem Münztelefon. Sie spricht Deutsch mit irgend jemandem. Wir hören mehrfach Sätze wie „Oh wie schrecklich“ oder „das ist ja schlimm“.
Ab in den Kiosk, noch ein leckeres dänisches Softeis geholt. Das Eis wird nach dem „zapfen“ aus der Eismaschine noch in „Drys“ gewälzt. Das sind so leckere Streusachen wie Schokostreusel, Zuckerperlen und ähnliches. Für mich darf es wie immer Nusskrokant sein. Wir schlendern Eis schleckend zum Auto. Damals fuhr ich noch einen blauen VW Bora Kombi. Ein schönes geräumiges Auto, mit dem man gut zu zweit mit reichlich Gepäck und einem großen Berner-Sennenhund nach Dänemark in den Urlaub fahren konnte. Der Hund wartete auf uns im Ferienhaus.
Autoradio
Einsteigen und los geht die kurze Fahrt über schmale Landstraßen, oft mit direktem Blick auf das kabbelige Wasser des Limfjords. Auf der Landseite sieht man in den letzten Jahren immer mehr Windräder stehen, die sich drehen. Wind gibt es hier oben ständig, was man auch an den schräg gewachsenen Hecken zwischen den großen Feldern der Bauern sieht. Ich mache das Radio an, wir hören dänische Sender, denn die spielen auch gute Musik. Im Moment aber nicht. Es wird viel geredet. Wir verstehen wie immer kein Wort dieser ulkig klingenden Sprache. Ab und zu schnappen wir so etwas wie lufthavn auf, was Flughafen bedeutet.
Weiter geht die Fahrt und weiter geht das Gerede. „Was da wohl los ist“ fragen wir uns kurz, machen uns dann aber lieber Gedanken, was wir uns zum Abendessen kochen wollen. Andy hat eigentlich immer Hunger und könnte alle zwei bis drei Stunden eine volle Mahlzeit verputzen. Bei uns läuft das arbeitsteilig. Ich koche und er spült und putzt die Küche. Angekommen. Wir rollen im VW Bora auf dem Kies vor „Haus Pax“ aus. Der Hund hat das Knirschen im Kies sicher schon längst gehört.
Auf einer winzigen Schwarzweiß-Glotze
Die Treppe zur Terrasse hoch und wir hören Carlo, meinen Berner-Sennenhund, hinter der Tür schon freudig bellen. Tür auf und 50 Kilo gute Laune stürmen uns entgegen. Also erst mal den Hund begrüßen und ordentlich knuddeln. Andy geht in die Küche und stellt den Kessel auf den Herd. Wasser kochen, denn wir haben Lust auf einen Pott Kaffee. Ich hänge die nassen Badeklamotten auf der überdachten Terrasse auf die Wäscheleine.
Der Kaffee dampft lecker duftend aus den Tassen, ein Stück Kuchen gibt es auch noch. Wir setzen uns an den Wohnzimmertisch hinter dem Panoramafenster, das den wunderbaren Ausblick auf den Limfjord bietet. Was uns an „Haus Pax“ so gut gefällt ist, dass hier im Laufe eines Lebens – konkret des Lebens von Tante Hilde, der es gehört – so einiges zusammen getragen wurde. Kein perfekt durchgestyltes Haus voller Möbel aus dem Ikea-Katalog.
Da steht auf der linken Seite am Wohnzimmerfenster das alte mit grünem Stoff bespannte Sofa, das Hildes Sohn Wolfgang mal in seiner Studentenbude stehen hatte und auf dem ein paar unterschiedliche Kissen liegen. Auf der anderen Seite des Tisches zwei alte, knautschige aber sehr bequeme Ledersessel, die diese typischen Ledermöbel-Geräusche machen, wenn man sich hinein plumpsen lässt . Der Tisch beziehungsweise dessen Tischplatte, auf der mittlerweile Kaffee und Kuchen stehen, ist ein Holzrahmen mit einer Fliesenplatte darin. Auch der Küchenzeile hinten im Raum sieht man an, dass die Ausstattung im Laufe der Jahre gewachsen ist. Keine moderne Einbauküche aus einem Guss.
Auf den Fensterbänken allerlei Kerzenständer natürlich mit Kerzen darin und dazwischen das eine oder andere dekorative Kleinod. An der langen Wand ist ein großes Bücherregal bis oben hin voll mit Büchern. Auch deutschsprachige Bücher sind dabei, denn Tante Hilde stammt aus Deutschland, hat aber in den 1950er Jahren irgend wann mal „nach Dänemark geheiratet“. Die alte abgegriffene Ausgabe von „Moby Dick“ habe ich hier in den letzten Jahren bestimmt schon zwei Mal gelesen. Das ganze Haus ist eben ein nettes Sammelsurium und genau das macht es für uns so gemütlich und heimelig.
In der Ecke hinter dem grünen Sofa steht auf einem schmalen hohen Schränkchen ein winzig kleiner Schwarzweiß-Fernseher. Die neueste Errungenschaft in dem Sammelsurium von „Haus Pax“. In den Jahren zuvor gab es im Haus zuerst gar keinen Strom. Gekocht und geheizt wurde mit Gas. Zwei riesige Propangas-Flaschen in einer Art Schrank auf der Rückseite des Hauses versorgten Herd, Gasheizungen und auch den Warmwasserboiler im Bad.
Warmes, gemütliches Licht spendeten unzählige Kerzen und zwei Petroleumlampen über dem Esstisch und dem Wohnzimmertisch. Wer nicht aufpasste, der haute sich an den Dingern immer fürchterlich den Kopf beim Aufstehen vom Sofa. Irgendwann gab es dann eine 12-Volt-Autobatterie mit der über dünne Strippen einige Lampen betrieben wurden. Die Autobatterie konnte man ein mal die Woche in einer Autowerkstatt in Ravnstrup für kleines Geld laden lassen.
Doch in diesem Urlaub haben wir erstmals „echten“ Strom und eben diesen Mini-Fernseher auf dem aber nur die dänischen Standard-Programme laufen. Wir schalten die Schwarzweiß-Glotze eher beiläufig ein … und dann verschlägt es uns die Sprache!
Es ist der 11. September 2001 und im dänischen Staatsfernsehen sehen wir wie die Zwillingstürme des World Trade Centers in New York nach den Flugzeug-Einschlägen in Trümmern liegen. Da das dänische Fernsehen durchgängig amerikanische Nachrichten und Sondersendungen zeigt, die gelegentlich mit dänischen Untertiteln versehen sind, verstehen wir alles. Wir sitzen stundenlang da, schauen fassungslos auf die kleine Mattscheibe. Der Kaffee in den Tassen ist längst kalt geworden. Kaum mehr als ein Jahr zuvor waren wir beide selbst noch da oben auf der Aussichtsplattform des World Trade Center gewesen und hatten den Ausblick auf diese faszinierende Stadt genossen.
Sehr viele Menschen wissen auch heute noch ganz genau, wo sie „an diesem einen Tag“ waren. Der Tag, der die Zeit danach so nachhaltig geprägt hat und noch bis heute nachwirkt. Ich war mit meinem Kumpel Andy an „911“ in Dänemark am Lendrup-Strand im „Haus Pax“ im spätsommerlichen Urlaub. „Pax“ ist das lateinische Wort für Frieden.